Kleinere Beiträge in
Zeitungen und Foren II Short Writings in Newspapers and Forums II Gazete ve Forumlarda Yazılar
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I n h a l t d i e
s e r S e i t e - C o n t e n t s
- İ ç i n d e k i l e r : 5.
Buchbesprechung von:
Ali Rafet ÖZKAN: Türkiye Çingeneleri <Die Zigeuner der Türkei,
Ankara 2000 (T.C. Kültür Bakanlığı Yayınları) 6.
Diskussionsbeitrag zum Thema Moscheebau in Deutschland im „Forum 7.
Bericht über zwei internationale Konferenzen zum Thema Zigeuner in 8.
Bemerkungen zu „Nevipe- Nachrichten und Beiträge aus dem Rom |
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5. Die folgende Buchbesprechung wurde in leicht gekürzter
Form für die Webseite des Vereins Rom e.V. (Köln) (http://www.romev.de) verfaßt. Ali Rafet ÖZKAN: Türkiye
Çingeneleri <Die
Zigeuner der Türkei, Türkisch> (T.C.
Kültür Bakanlığı Yayınları) Ankara 2000 Dr.
Ali Rafet ÖZKAN (Jg. 1964) ist Dozent an der İlahiyat Fakültesi
(Theologische Fakultät) der Atatürk Universität in Erzurum (NO-Türkei) im
Fach Religionsgeschichte. Die Universität ist dafür bekannt, daß sie manche
nationalistische Wissenschaftler (bzw. Pseudowissenschaftler) hervorgebracht
bzw. angestellt hat. In
den 1990er Jahren war Özkan zu einem Studienaufenthalt in Deutschland und hat
dabei u.a. eine Auftragsarbeit für das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und
Soziales des Landes NRW unter dem Titel „Türkische Muslime in NRW“ (1997)
herausgebracht. Seine
Publikation über die Zigeuner in der Türkei ist offenbar die erste als Buch
erschienene wissenschaftliche Arbeit zum Thema, die versucht, einen landesweiten
Überblick über Roma und andere Zigeunergruppen, die sich nicht Roma nennen
(und daher auch nicht so genannt werden sollten) zu geben. Das
mit 27 in den Jahren 1996/67 entstandenen Farbfotos, Bibliographie und Index
ausgestattete Buch ist interessanterweise vom Kulturministerium (in einer
Auflage von 3000 Exemplaren) gedruckt worden. Das ist schon bemerkenswert, da
bisher Publikationen, die sich dezidiert mit einer nicht-türkischen
ethnischen Gruppe der Türkei beschäftigten, nicht gern gesehen bzw. sogar
verboten waren, da man darin separatistische Umtriebe entdecken wollte, die
die Einheit der Republik beschädigen würden. Mithin ist die Herausgabe einer
solchen Publikation von offizieller Seite schon ein Schritt hin zu mehr
Demokratie. Allerdings muß man sagen, daß die fast über das ganze Land
verstreuten, nichthomogenen und noch relativ wenig organisierten Zigeuner
kaum als eine Gefahr für den Bestand des Staates angesehen werden können. Trotzdem
ist dem Ministerium die Herausgabe des Buches „nicht gut bekommen“, denn es
fand sich ein Zigeuner namens Mustafa Aksu, der sich als Vorsitzender eines
Zigeunervereins in Ankara ausgab (vorher jedoch „unerkannt“ in einem
Ministerium gearbeitet haben soll), das Buch als eine Beleidigung und
Verunglimpfung der Zigeuner darstellte und eine Klage gegen den Autor in Gang
setzte. Dieses fand auch seinen Niederschlag in der Presse, was dazu führte,
daß das Buch schon bald nicht mehr zu haben war. Vom Kulturministerium war zu
erfahren, daß es ausverkauft und wegen des Gerichtsverfahrens keine neue
Auflage geplant wäre. Es ist allerdings auch das Gerücht in Umlauf gesetzt
worden, daß das Buch vom Markt genommen worden wäre (so schreibt z.B. die in
Deutschland erscheinende PKK-nahe Tageszeitung Özgür Politika am 23.7.2001,
S.4). Mustafa
Aksu hat, als Reaktion auf Özkan’s Buch, mittlerweile selbst ein Buch
herausgebracht: „Türkiye’de Çingene olmak“ <Zigeunersein in der Türkei>
(Istanbul 2003). In
dem ohne Verfasser unter der Überschrift „Einsammeln des Buches ‚Türkiye’de
Çingeneler’“ (der Titel des Buches wurde hier wie auch im Text nicht korrekt
wiedergegeben) in Özgür Politika abgedruckten Artikel stellt man sich hinter
die Auffassung von einigen in der Stadt Eskişehir inter-viewten
Zigeunern (wohl Roma), daß das Buch eben als eine Verunglimpfung anzusehen
wäre und fügt hinzu, daß es keinen wissenschaftlichen Wert besäße. Das
Gerichtsverfahren soll kürzlich mit der Begründung eingestellt worden sein,
daß das Buch mittlerweile ausverkauft wäre. Doch
zunächst zum Inhalt des Buches; hier das vollständige Inhaltsverzeichnis: Vorwort Abkürzungen Einleitung A.
Die Herkunft und Migrationen der Zigeuner a. der Begriff Zigeuner b. die Herkunft der Zigeuner c. Die Migration aus Indien B.
Die Geschichte der Zigeuner in der Türkei a. die Ankunft der Zigeuner in Anatolien b. die Zigeuner zur Zeit des Osmanischen
Reiches c. die Zigeuner der heutigen Türkei I.
Teil Die
sozio-kulturellen Besonderheiten der Türkei-Zigeuner A.
Die Familienstruktur der Zigeuner a. die Kinder b. die jungen Mädchen und Jungen c. die Frauen d. die Männer e. die Alten B.
Die Sozialstruktur a. die Zeltgemeinschaft (serha) b. der Stamm c. die Nation (natia) C.
Die Lebensumstände a. Seßhaftigkeit und Reisen b. Musik c. Tanz d. Sprache e. Zigeuneroberhaupt (çeribaşı)
und –könig f. Kleidung g. Essen h. Wahrsagerei und Magie i. die Berufe der Zigeuner j. das Rechtssystem D.
Gebräuche a. Heirat b. Schwangerschaft und Geburt c. Namensgebung d. Tod und Begräbnis II.
Teil Religiöse
Vorstellungen und Praktiken der Zigeuner A.
Religiöse Vorstellungen der Zigeuner a. Vorstellungswelt der Zigeuner aa. Allmacht und Gegenkraft ab. Muttergottheiten b. sonstige Glaubensvorstellungen ba. mystische Glaubensinhalte bb. rein und unrein (Tabusystem) c. die Mythologie der Zigeuner ca. der Kosmos und die Ordnung des
Menschengeschlechts cb. Die Schöpfung des dunklen Menschen B.
Praktiken a. Wallfahrtsorte und Pilgerschaft b. Feste der Zigeuner Schluß Bibliographie Index Özkan
benutzt überwiegend die allgemeine Bezeichnung „Çingene“ und nicht etwa den
vor ein paar Jahren aufgekommen „vornehmeren“ Begriff „Roman“ (analog zu
„Sinti und Roma“ in der „politisch korrekten“ Sprachregelung in Deutschland),
obgleich er diese Benennung ebenfalls erwähnt. Es fällt allerdings auf, daß
er anders als etwa „Türk“ (Türke) oder „Alman“ (Deutsche/r),
Nationalitätsbegriffe, die man im Türkischen im allgemeinen groß schreibt,
Çingene fast ausschließlich (selbst im gleichen Satz mit den vorstehenden
Begriffen) klein schreibt – Interpretation offen. Demgegenüber schreibt er
„Roman“, wenn er die Bezeichnung denn hin und wieder (z.B. S.22) benutzt,
meist groß. Wenngleich
dem Autor der Verdienst zukommt, erstmals einen Überblick über die
verschiedenen Zigeunergruppen der Türkei gegeben zu haben, so sind doch eine
Reihe von Fehlern, Ungereimtheiten bzw. Widersprüche zu bemerken, von denen
im Folgenden einige aufgeführt werden sollen. Verwirrend
ist es wenn Özkan von einer Roma-Gruppe im südanatolischen Osmaniye (östlich
von Adana) immer wieder (z.B. S.22, 61) als „Manuş“ (Manusch) spricht;
hier denkt man an die in Frank-reich gebräuchliche Eigenbezeichnung der
Sinti. An anderer Stelle führt er den (angeblich ?) vollen Namen dieser
Gruppe als „But Manışa“ (S.22) an. Wenn
alle sich „Roman“ (Roma) nennenden Zigeuner, wie Özkan behauptet (S.22), erst
besonders nach 1877 und 1924 aus dem Balkan in die heutige (westliche) Türkei
eingewandert sein sollen, so erscheint das wenig wahrscheinlich. Zumindest in
Istanbul und Thrakien dürften auch davor schon Zigeuner gelebt haben. So
verwundert es dann schon nicht, wenn er ein frühes Standardwerk über Zigeuner
im Osmanischen Reiche, das Buch von Alexandre G. Paspati (Études sur les
Tchinghianés ou Bohémien de l’Empire Ottoman, Konstantinopel 1870) offenbar
nicht gelesen hat, zumindest erscheint es nicht in der Bibliographie. A propos Bibliographie. Ein großer
Teil der Literatur stammt aus westlichen Federn, besonders deutschen, was
sich aus seinem Studienaufenthalt in Deutschland erklärt. Das ist zwar
löblich, führt jedoch dazu, daß der Autor bei der Beschreibung verschiedenen
Sachverhalte, vor allem im „sozio-kulturellen“ Teil zu häufig auf diese
Quellen zurückgreift, die nicht Zigeuner in der Türkei betreffen und
vermischt sie mit eigenen Beobachtungen, so daß eine korrekte Einschätzung
der speziellen Situation in der Türkei dem Leser schwer fällt. Die
zahlreichen Schreibfehler beim Zitieren fremdsprachiger Quellen sind für
türkische Autoren nicht ungewöhnlich. Der
Autor behauptet (S.32, 44), die Türkei „karış karış“
(jede Handbreit) bereist zu haben, um Informationen über Zigeuner und deren
Zahl zu sammeln, doch gibt er bei der Auflistung (S.32-43) nur Informationen
über 39 (von mittlerweile 81) Provinzen. Für das Thema nicht unwichtige
Provinzen wie z.B. Ardahan, Kars oder Urfa fehlen. Wenn
Özkan auf S.73-76 Romane(s)-Vokabeln türkischer Zigeuner auflistet, dann
vermißt man einen Hinweis auf die jeweilige Gruppe, bei denen die angeführten
Ausdrücke aufgenommen worden sind, zumal der Autor selbst von großen
Dialektunter-schieden schreibt (S.72). Dazu
„paßt“ auch sein Vermischen von Eigen- und Fremdbezeichnungen (S.4). Einige
kleinere Fehler: Gurbeti und Arlije sollen als westliche Bezeichnungen für
die Zigeuner in Gebrauch sein (S.5), was so wohl kaum stimmt. Wenn
er mit Lovar die Lovara meint, so dürfte seine Herleitung von Lohar falsch
sein, denn die Bezeichnung geht auf das Ungarische zurück (S.5, falsch auf
S.115: Lavora). Die Lovara als Untergruppe der Kelderara zu bezeichnen, ist
wohl eine nicht allein Özkan anzulastende (S.5) falsche Einschätzung. Völlig
falsch ist es, jedoch, Luri oder Luli – von dem Unterschied zwischen beiden
Bevölkerungs-gruppen ganz zu schweigen – als eine Untergruppe der Kelderara
anzuführen (S.6; soll auf Edgar Wüpper/ Gert Schwab: „Zigeuner – Porträt
einer Randgruppe“, Luzern 1979, S.44 zurückgehen). Statt
„Gaynikan“ sollte es wohl Gadschikan und statt „Piomestesi“ Pietmontesi
heißen (S.6). Als
Plural von Nuri wird fälschlich
„Nuayr“ angegeben (S.6), wo es Nawar lauten muß. Allerdings heißen sie
später (S.14, 70) dann doch „Navar“. Die
Bezeichnung Gjupci (Gjupti), bei Özkan als „Djupci“ wiedergegeben (S.7), ist
nicht nur (wenn überhaupt) in Ostserbien anzutreffen, sondern vermutlich weit
häufiger in Teilen Mazedoniens. Aus
nicht ersichtlichem Grunde setzt Özkan die Landschaft Sindh immer mit der
Stadt Haydarabad gleich (S.12, 14). Die
„Şıhbızınlı“ sind wohl nicht, wie der Autor
(allerdings auch Leute in der Erzurumer Gegend) glaubt (S.31, 41), Zigeuner,
sondern ein Kurdenstamm, der einen südkurdischen Dialekt (ähnlich dem Sorani)
spricht. Es könnte allerdings sein, daß sich eine Gruppe von Zigeunern zwecks
Hebung ihres Ansehens mit dem Namen jenes Kurdenstammes geschmückt hat. Statt
„vista“ (S.52 f.) muß es vitsa heißen. Die
zahlreichen Schreibfehler beim Zitieren fremdsprachiger Quellen ist für
türkische Autoren nicht ungewöhnlich. Der
Hauptkritikpunkt verschiedener Zigeuner ist wohl, daß Özkan für verschiedene
Orte (nicht durchgängig !), vor allem für einige größere Städte Prostitution,
Diebstahl und Raub als Einkommens-quelle angibt (S.26, 33, 35-39, 42). Wenn
man etwa an das Viertel Hacı Hüsrev in Istanbul oder
Çinçinbağları in Ankara denkt, so dürfte es schwer fallen, das
abzuleugnen. Das Gericht hat sich jedoch vermutlich nicht damit
beschäftigt. Eine
gewisse nationalistische Note bringt der Autor hinein, wenn er schreibt: „Nach
unserer Meinung ist alles dies das lebendigste Beispiel und ein Beweis dafür,
daß der türkische Boden, sei es zur osmanischen Zeit oder zur Zeit der
Republik Türkei für alle Minderheiten ein wahrer Zufluchtsort und
Rückzugsstätte geworden ist.“ (S.23) Zwar stimmt es, daß immer wieder
muslimische Minderheiten und teilweise Juden eingewandert sind, doch kann das
nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, daß diese zu verschiedenen Zeiten in
unterschiedlicher Weise und Intensität teilweise brutalem
Assimilierungs-druck und Diskriminierung ausgesetzt waren. Was die Zigeuner
angeht, so sagt der Autor selbst, daß es das Ziel der osmanischen Verwaltung
war, die „nomadischen“ Zigeuner in ihren Wanderungsbewe-gungen unter
Kontrolle zu stellen, ihnen nicht zu erlauben, sich außerhalb einer
bestimmten Gegend zu bewegen (S.30) und etwa ein Vermischen (auch räumlich)
von muslimischen und nichtmuslimischen Zigeunern zu verhindern (S.24, 26) und
einzelnen Zigeuner zu untersagen, sich von ihrer Gruppe zu lösen (S.24 f.).
Auch die Tatsache, daß Zigeuner in der Türkei wenn eben möglich ihre
Identität zu verschleiern suchen, weil sie fast überall geringschätzig
angesehen und behandelt werden, widerspricht dem Bild der Türkei als
„Minderheiten-Paradies“ (S.31). Rüdiger
Benninghaus, 19.April
2003 (ergänzt September 2005) |
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6. Diskussionsbeitrag zum Thema Moscheebau in Deutschland im „Forum der Bürger Initiative Wertheim gegen
Moschee-Bau“ vom 25.6.2003 Die obengenannte
Initiative existiert noch, ihr damaliges Forum ist mittlerweile wegen
fremden-feindlicher, hetzerischer und beleidigender Inhalte geschlossen
worden. Stattdessen hat man ein neues Forum installiert (http://wertheim.isthier.de).
„Führer“ der „Bewegung“ ist ein gewisser Willi Schwend in Wertheim. Zum Thema
Moscheebau in Deutschland siehe auch: http://www.rbenninghaus.de/mosques.htm
„Die
folgenden Bemerkungen sind, nur leicht abgewandelt, als Antwort auf eine
eMail von Herrn Schwend verfaßt worden. Da sie jedoch zum Thema dieser
Webseite gehören, ist es sicher nicht unpassend, sie hier auch im Forum zu
veröffentlichen. Es
geht Ihnen offensichtlich nicht nur um Wertheim, sondern überhaupt um
Moscheebau in Deutschland. Wie
kommen sie darauf bzw. was gibt Ihnen das Recht, von ‚Übertreibung’ im
Zusammenhang mit dem Bau von Moscheen zu sprechen ? Wieviel Kirchen gibt es
in Wertheim und wieviel Moscheen, die auch als Moschee äußer-lich sichtbar
sind? Die
Muslime in Deutschland schreiben den Christen ja auch nicht vor, wieviel
Kirchen sie bauen oder unterhalten sollen. Und
jetzt kommen Sie mir bitte nicht mit dem Argument, in islamischen Ländern oder
auch in der Türkei hätten Christen Schwierigkeiten, Kirchen zu bauen oder zu
restaurieren. Das weiß ich selbst. Undemokratische
oder scheindemokratische Staaten können/sollten kein Vorbild für Deutschland
sein. Insofern
ist es auch eine gewisse Demonstration gegenüber solchen Ländern - übrigens
ein Nebenaspekt meiner Webseite über Moscheebauten in Deutschland - zu
zeigen, daß es trotz aller Hindernisse, die sich fast überall auftauchen, wo
Muslime hier ihr Recht auf Religionsfreiheit (wozu auch der Bau von Moscheen
gehören muß) wahrnehmen wollen, in Deutschland Moscheen existieren, die als
solche sichtbar sind. Ich
habe nicht die Zeit auf alle hanebüchenen Behauptungen auf Ihrer Webseite
einzugehen - das sollten Leute am Ort in Wertheim machen - ein paar
Bemerkungen möchte ich jedoch machen. Migrationen
hat es gegeben, solange es Menschen gibt. Kulturellen
Fortschritt hat es immer dort gegeben, wo Kontakte zu anderen Kulturen
bestanden, wo das wenig der Fall war, hat es Stillstand gegeben. Wieviel östliche
Einflüsse gibt es im Kirchenbau in Deutschland, um nur ein kleines Beispiel
zu geben. Wieviel Zwischenheiraten hat es unter europäischen Herrscherhäusern
gegeben? Wenn
auch die Migranten in Deutschland keine Bereicherung wären (was sie
allerdings in vielfacher Hinsicht sind), so hätten sie doch zumindest den
(ungeplanten) Beitrag geleistet, daß die Deutschen an ihnen, im Umgang mit
ihnen Toleranz lernen/einüben können. Die
Stadt Köln hat einmal ein Plakat hergestelt mit der Aufschrift: ‚Die ersten Kölner
waren Ausländer.’ Das trifft den Kern der Sache. Leider
ist Deutschland im Laufe seiner Geschichte auch immer wieder mit
Fremdenfeindlichkeit unrühmlich hervorgetreten. Schon im Mittelalter sind
Juden mit abstrusen Vorwürfen verfolgt und vertrieben worden. Übrigens
lassen sich eine ganze Reihe von Parallelen zwischen der Behandlung von Juden
(Synagogenbau in früheren Jahrhunderten z.B. - man möge sich da mal
Archivmaterial ansehen) und von Muslimen heute ziehen. Zigeuner
haben immer wieder im Laufe der Jahrhunderte mit Ausweisungen bis zur
nächsten Grenze gelebt. Der
Gipfel der Fremdenfeindlichkeit liegt nicht so weit zurück, als daß er uns
nicht mehr gegenwärtig wäre. Die
Erlaubnis für den Bau von Moscheen soll auch dokumentieren, daß Deutschland
sich ein wenig gewandelt hat. Es
ist schlichtweg falsch und widerspricht sowohl den Erfahrungen (auch bei
Moscheebesuchen), die ich gemacht habe, als auch den Erkenntnissen von
Sozialwissenschaftlern, daß der Bau von Moscheen der Integration nicht
förderlich wäre. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn Muslimen hier und dort
nicht mit Scheinbegründungen der Moscheebau zu verweigern versucht würde,
sondern man dies im Gegenteil wohlwollend aufnehmen würden, dann gibt man von
deutscher Seite ein Zeichen, daß man die muslimischen Einwanderer endlich
nach Jahrzehnten als zu unserer Gesellschaft gehörig betrachten würde. Übrigens
ist ein verstärkter Moscheebau - Herr Schwend spricht von Moscheebau-Boom -
auch ein Zeichen dafür, daß man hier in gewisser Weise heimisch geworden ist. Moscheen,
wenn sie denn aus den Hinterhöfen hinaustreten könnten, sind Zentren
islamischen Lebens und werden dann auch als solche von deutscher Seite
wahrgenommen, z.B. indem Schulklassen sie besuchen, christliche Geistliche,
Lokalpolitiker dort ein und ausgehen; dafür gibt es zahlreiche Beispiele.
Solche Moscheen machen auch gern an einem ‚Tag der offenen Moschee’ (obwohl
Moscheen immer jedem offenstehen) mit, wenn sie sich ihrer Einrichtung nicht
zu schämen brauchen, sondern sie auch mit einem gewissen Stolz zeigen können.
Da ist dann nichts mit Integrationswidrigkeit. Integration
ist im übrigen keine einseitige Sache. Und: wie man in den Wald hinein ruft,
so schallt es hinaus. Ein
integrationsfeindlicher Schritt ist, wenn man die Moscheen möglichst am
Ortsrand oder in Gewerbegebieten ansiedeln will. Unverschämt ist und als
nichts anderes als Doppelmoral zu bezeichnen ist es, wenn man diese Tatsache
(isolierte Lage der Moschee) dann auch noch gegen die Muslime verwendet. Leider
ist es so, daß immer wieder mit Scheinargumenten gegen einen Moscheebau die
eigentliche Integrationsunwilligkeit der Deutschen versucht wird zu
kaschieren. Ein typisches Beispiel als Dillenburg: da wird der Gebetsruf von
einer Moschee (nicht als solche gebaut) mit dem Hinweis auf Lernbelästigung
abgelehnt, wo doch nach Messungen der Lärm des Straßenverkehrs an der
Hauptstraße, an der diese Betstube liegt, höher ist als der Geräuschpegel des
Gebetsrufes. Es
ist falsch und belegt die eigentlich dahinterstehende Böswilligkeit, wenn
behauptet wird, daß beispielsweise der türkische Staat (als dem, wo die
meisten Muslime herkommen) den Bau von Moscheen in Deutschland finan-zieren
würde. So gut geht es der Türkei auch nicht. Die Moscheen werden im wesentlichen
aus den Mitteln der Gemeindeglieder finanziert, was sich auch an der nicht
selten langen Bauzeit vieler Moscheen leicht dokumentieren läßt. Zum
Thema Parallelgesellschaften. Wer davon redet, weiß nicht, was er da
eigentlich sagt. Die (ethnisch) ‚deutsche’ Gesellschaft ist alles andere als
homogen. Wir gehören unterschiedlichen Konfessionen an - in manchen Gegenden
spricht man noch von Mischehen, wenn Protestanten und Katholiken geheiratet
haben - die jeweils in sich auch nicht homogen sind (z.B. Landeskirche versus
Evangelikale usw.). Junge Leute haben eine völlig andere Kultur und soziale
Kontakte als ältere Generationen. Ein Nichtbayer ist im blau-weißen Ländle
ein Preuße und wird entsprechen fremd angesehen. Von den traditionell in
Deutschland lebenden ethnischen bzw. ethnoreligiösen Gruppen (Juden, Sorben,
Dänen, Zigeuner, Jenische u.a.) und den unterschiedlichen Sprachen bzw.
Dialekten wollen wir gar nicht reden. Ein
Arbeiter bei Ford in Köln lebt in einem ganz anderen Umfeld als jemand aus
der High Society in einem Kölner Nobelviertel, man hat untereinander so gut
keinen Kontakt. Ein Boris Becker (z.B.) hat mit mir keinen Kontakt und nur
wenig gemeinsam. Alles Parallelgesellschaften … Die
Moscheen liegen sozusagen vor der Haustür, man braucht nicht in den Orient
reisen, wo man dann gerne Moscheen besucht und fotographiert. Manche
Moscheen in Deutschland haben sich übrigens zu Attraktionen an den jeweiligen
Orten entwickelt. Nun,
es ließe sich noch viel über das Thema und Ihrer Webseite anführen. Ich habe
allerdings auch noch anderes zu tun. Eine
letzte Bemerkung noch zu der gewählten URL für diese Seite und jene aus
Thannhausen und Schlüchtern: Ich kann den gewählten Namen nicht anders als
eine Hinterhältigkeit ansehen. Es wird mit ‚www.moschee-xyz.de’ suggeriert,
daß sich hier die Moschee in xyz vorstellt. Ehrlicher wäre sicherlich ein
anderer Name gewesen.“ Rüdiger
Benninghaus Köln |
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7. Türkei (Edirne und Istanbul): Zwei internationale Konferenzen über Zigeuner im Mai 2005 Am 7. und 8.Mai 2005 – mit einem angehängten Workshop am 9.Mai – fand
im Türkan Sabancı Culture Center der Trakya University in Edirne (europäische Türkei) das „1.International
Roman (ursprünglich hieß es: Gypsy)
Symposium“ statt, das von den Vereinen Ulaşılabilir
Yaşam Derneği (UYD, Accessible Life Association;
Zentrale in Düzce/ NW-Türkei) und dem vor etwa einem Jahr in Edirne
gegründeten Verein Edirne Çingene Kültürünü Araştırma,
Geliştirme, Yardımlaşma ve Dayanışma
Derneği (EDÇİNKAY,
Verein zur Erforschung der Zigeuner-Kultur, Entwicklung
Hilfe und Solidarität, Edirne) organisiert worden war. Allerdings konnte sich
das „1.“ nur auf Edirne beziehen; denn das erste derartige Symposium in der
Türkei fand 2003 in Istanbul statt. Thrakien (die europäische Türkei) ist wohl die Gegend der Türkei, in
der die meisten Zigeuner (in diesem Fall Roma) leben. Nach Angaben von
EDÇİNKAY sollen in der Provinz Edirne 57.000 Roma leben, davon etwa
23.000 allein in mehreren Stadtvierteln von Edirne. Darüberhinaus war der zeitliche Anlaß für das Symposium das
alljährlich gefeierte Hıdrellez-Fest, das hier unter dem Namen Kakava
besonders im Şeytan Deresi (Teufelstal) bei der Stadt Kırklareli
groß begangen wird. Folgende Kurzreferate wurden an den beiden Tagen des Symposiums
präsentiert: - Emel Gönenç Güler (Thrakien-Universität Edirne): „Die Einfluß der Roma auf den Tourismus“ - Şafak YILDIZ (Istanbul, Rechtsanwalt): „Roma and das Recht“ - Erdal KESEBİR (Rechtsanwalt, ehem. Parlamentsabgeordneter,
Ankara): „Das Gesetz zur Wieder- - Ivan VESELY (Roma-Aktivist, Prag, Organisation Dženo): „Die
rechtliche Lage von Zigeunern” - Halim YILMAZ (Rechtsanwalt, Istanbul, MAZLUMDER-Verein): „Roma und Rassismus“ - Suat KOLUKIRIK (Soziologe, Ägäische Universität Izmir-Bornova):
„Roma im Erwerbsleben: Jobs - Nazım ALPMAN (Journalist/ Schriftsteller, Istanbul):
„Doppelstandards, die bei den Roma(n) - Mustafa AKSU (Zigeuner, Pensionär, Ankara): „Beispiele für Diskriminierung in Regierungsstellen“ - Elena MARUSHIAKOVA/ Veselin POPOV (Ethnologen,
Sofia/ Bulgarien): „Die muslimischen Zigeuner auf dem Balkan“ - Ayhan KAYA (Centre for Migration Research, Bilgi-Universität,
Istanbul): „Multikulturalismus” - Zerrin TOPRAK/ Alper YAĞLIDERE (9.September-Universität Izmir, Abt. für Stadtplanung): - Ivan IVANOV (Roma-Aktivist, Rechtsanwalt, ERIO, Brüssel):
„Rassendiskriminierung“ - Rüdiger Benninghaus (Köln): „Politische Korrektheit“ - Zeki COŞKUN (Journalist/ Schriftsteller, Istanbul): „Roma in der Literatur” - Adnan ÖZER (Schriftsteller, Istanbul): „Roma in der spanischen
Literatur“ - Anton KARAGIOZOV (Rom, Bulgarien): „Bildung für Senioren“ - Ekmel ÇİZMECİOĞLU (Organisation „Search for Common Ground“, Brüssel): „Perspektiven der - Skender VELIU (Roma-Funktionär, Tirana, Union der Roma Albaniens ‘Amaro Drom’):
„Roma in - Istvan MEZEI (Rom, Budapest): „Nationaler Zigeuner-Fußball in
Ungarn und die Zigeuner-Jugend- - Elin STRAND (Soziologin, International Romani Studies Network iRSN, Istanbul): „Pflingstlertum - Adrian MARSH (Historiker, International Romani Studies Network
iRSN, Istanbul): „Geschichte, - Galina KOSTADINOVA (Minority Rights Group, England): „Schutz von
Roma-Rechten – die Neben diesen Kurzreferaten gab es natürlich verschiedene Ansprachen,
u.a. vom Bürgermeister der Stadt Edirne, und einen Kurzfilm „İlgisiz“
von Nur Akalın, mit dem allerdings kaum jemand etwas anzufangen wußte. |
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Der Journalist
Nazım Alpman und Mustafa
Aksu (rechts) |
Milena
Hübschmannová (†) |
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Am Vormittag des 9.Mai schloß sich schließlich noch ein Workshop an,
in dem die verbliebenen Teilnehmer des Symposiums in zwei Gruppen
verschiedene Fragen diskutierten, die während der vergangenen zwei Tage
aufgeworfen worden waren. Neben den genannten Referaten wurde auch etwas „Kultur“ geboten, so
spielte z.B. eine imposante Gruppe von je etwa zehn Trommlern (davul) und
Oboenspielern (zurna), daß man einen Eindruck davon bekam, was Josua vor den
Toren Jerichos veranstaltet haben muß. Die Gruppe, die nur in „kleiner“
Besetzung gekommen war, gehörte zur ebenfalls von Roma gegründeten
„Vereinigung der Musiker von
Lüleburgaz“, knapp eine Autostunde von Edirne entfernt. |
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Die Musikgruppe aus Lüleburgaz |
Kemanî Cemal Çınarlı |
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Mittlerweile werden auch vermehrt Vereine von Zigeunern in der Türkei
(bisher wohl ausschließlich von Roma) gegründet, so z.B. in dem Ort
Muratlı (in der Nachbarprovinz von Edirne, Tekirdağ), in Samsun (Nord-Anatolien), Izmir (nachdem ein vor
ein paar Jahren dort gegründeter Verein wieder
geschlossen worden war) und Mersin (Süd-Anatolien). Der Verein in
Edirne und Mustafa Aksu planen bereits die Gründung einer Föderation, wofür
es jedoch, laut Gesetz, mindestens fünf Vereine bedarf. Möglicherweise soll im nächsten Jahr ein weiteres Symposium in Edirne folgen. Vielleicht ist bis
dahin der Verein EDÇİNKAY mit seinen Plänen, ein Kulturzentrum zu
errichten, weitergekommen. Am 14. und 15. Mai 2005 fand dann anschlies-send die „Second International Romani Studies Conference“
unter dem Titel „Other Side of Europe – Diaspora, Politics & Culture“ in
der (privaten) Bilgi-Universität im Istanbuler Stadtteil Kuştepe statt
und wurde, wie schon die Konferenz 2003 vom International Romani Studies
Network (iRSN), diesmal jedoch in Zusammenarbeit mit dem Centre for Migration
Research der Bilgi-Universität durchgeführt. Der eigentlichen Konferenz ging am 13.Mai eine Sitzung des iRSN
voraus, in der man über die Perspektiven der Arbeit sprach, ein Vortrag von
Erdal KESEBİR (Thema wie schon in Edirne),
Nurcan KAYA (Menschenrechtszentrum der Bilgi-Universität) über: „Die
Roma(n) in der Türkei und die Menschenrechte“ und Eleni X.(?) (Abt. für Roma
und Reisende beim Europarat) über die Arbeit ihrer Organisation als Ratgeber
für den Europarat. Am Abend wurde dann noch der Film „Kushtepe Blues“ von
Nedim HAZAR gezeigt, der dabei anwesend war. Auf der eigentlichen Konferenz sprachen dann: - Ayhan KAYA
(Istanbul): „Migration und Identität – die Arbeit des CMR (Centre for
Migration Research)“ - Adrian MARSH (iRSN): „Die andere Seite des Romanipen [Roma-Sein]:
das Problem der Histo- - Ken LEE (Universität Newcastle/ Australien): „Roma – nah und fern
zugleich: Simmel’s ‚Fremder’ neu betrachtet“ - Başak SOLMAZ (Roma-Studien-Programm der Bilgi-Universität):
„Die Repräsentation türkischer - Elena MARUSHIAKOVA/ Veselin POPOV (Studii Romani, Sofia/
Bulgarien): „Die Grenzen erweitern: - Rune HALVORSEN (Norwegische Universität für Naturwissenschaft und
Technologie, Trondheim): - Yaron MATRAS (Linguist, Universität Manchester): „Romani Sprachplanung und Kodifizierung: - Milena HÜBSCHMANNOVA (Linguistin, Karls-Universität Prag): „Die
indische Herkunft der Roma: - Thomas A. ACTON (Universität Greenwich/ London, Centre for Romani
Studies): “Einige Asymme- - Vardan VOSKANIAN (Linguist, Universität Yerevan/ Armenien):
„Armenische Zigeuner“ - Elin STRAND (iRSN): „’Ich bin Türke und Roma(n)’ – Roma(n) und
Identität in Istanbul“ - Ekmel ÇİZMECİOĞLU (Brüssel): „Arbeit in
Partnerschaft: die Entwicklung einer regionalen Roma- - Suat KOLUKIRIK (Izmir): „Die sozialen Funktionen der Sprache unter
den Zigeunern von Tarlabaşı“
- Kevin HOLMES (Dom Research Centre, Larnaka/ Zypern): „’Die Zigeunern haben es gut gemacht’ – Identität
und Ethnizität in Zigeuner-Gemeinschaften in Ägypten“ - Ana OPRISAN (International Blue Crescent Relief and Development Foundation, Istanbul): - Jana HORVATHOVÁ (Romni, Museum für Roma-Kultur, Brno/ Tschechien):
„Bekämpfte Sammlung: - Sofia ZAHOVA (Next Page Foundation, Sofia/
Bulgarien): „Verbesserung des Zugangs zu Roma- - Katarzyna POLLOK (Malerin, Berlin): „Gibt es so etwas wie
‚Roma-Kunst’ ? Eine Roma (Sinti)- - Sonia T. SEEMAN (Ethnomusikologin, Universität von Kalifornien,
Santa Barbara): „Ästhetische/ Nachträglich ins Programm aufgenommen wurde ein Beitrag von Hristo KYUCHUKOV (Rom, Uni-versität von Veliko
Tărnovo/ Bulgarien) über Bildungsfragen von Roma in Bulgarien. Musik und teilweise Tanz von Istanbuler Roma kamen an den Abenden, besonders beim Empfang im Schwedischen
Konsulat zur Aufführung. Dabei wirkten unter anderem bekannte Roma-Musiker
wie Kemanî Cemal Çınarlı und Balık Ayhan mit. Die Türkei hat mit den beiden Konferenzen Leute zusammengebracht, die
mit oder über Zigeuner arbeiten und nicht zuletzt auch Kontakte mit Zigeunern
aus verschiedenen Ländern, u.a. auch drei Zargar aus dem Iran, ermöglicht.
Das allein war schon die Reise dorthin wert. Webhinweise: http://www.bruecke-istanbul.org/center_for_migration_research.htm
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Balık Ayhan |
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8. Bemerkungen zu
„Nevipe – Nachrichten und Beiträge aus dem Rom e.V.“, H.4/ 2012 In seinem z.Zt. zweimonatlich erscheinende Bulletin „Nevipe“ erregt
der Kölner Verein Rom e.V. seit einiger Zeit immer wieder „öffentliches
Ärgernis“. Aus diesem Grunde habe ich einmal die derzeit aktuelle Ausgabe von
„Nevipe“ einer eingehenderen Betrachtung unterzogen. Hier der Text wegen seiner Länge im pdf-Format: (21.12.2012) |
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eingerichtet: 10.September 2001 Zuletzt
ergänzt: 22.Oktober 2012 |
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