Dokumente über Zigeuner im Sächsischen Staatsarchiv Leipzig

 

Gypsy-related documents in the Saxonian State Archive in Leipzig

 

Saksonyalı Devlet Arşivinde (Leipzig) Çingenelerle ilgili dokümanlar

 

 

Rüdiger Benninghaus

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Außer den Publikationen von Reimar Gilsenbach,[1] Heinz Mode/ Siegfried Wölffling[2] und Aufsätzen über die NS-Zigeunerverfolgung in Magdeburg[3] und in Berlin[4] finden sich kaum neuere Arbeiten über Zigeuner[5] in den mittleren, östlichen und nordöstlichen Teilen Deutschlands, wobei hier die neuere Einwanderung von Roma in den letzten Jahrzehnten nicht berücksichtigt ist. Das heißt, hier bietet sich noch ein weites Feld von Forschungsmöglichkeiten, gerade in ethnohistorischer Perspektive.

Da eine Reihe von Zigeunergruppen aus dem Osten (dem heutigen Polen) nach Deutschland eingewandert sind, sind gerade Archive in diesem jetzigen Grenzraum besonders wichtig, um die Migrationsgeschichte dieser verschiedenen Gruppen zu schreiben. Dabei wird man vielleicht auch Antwort auf die Frage finden können, wann denn tatsächlich Roma nach Deutschland eingewandert sind – vermutlich nicht erst als Folge der Aufhebung der Sklaverei/ Leibeigenschaft in rumänischen Ländern um die Mitte des 19.Jhs.

Natürlich trägt jede neue regionale Studie mit dazu bei, ein flächendeckenderes Bild der Verbreitung/ Migration von Zigeunern in Deutschland zu zeichnen.

Der vorliegende kleine Beitrag versucht, Interesse zu wecken für eine Forschung „vor der Haustür“ – sicherlich angesichts des verbreiteten Forschungsinteresses besonders an Roma-Gruppen auf dem Balkan ein recht exotisches Thema. Er ist das Ergebnis eines etwa eintägigen Besuchs im Sächsischen Staatsarchiv Leipzig[6] in Leipzig-Paunsdorf, der dazu dienen sollte, einen kleinen Eindruck von dort vorhandenen Dokumenten über Zigeuner zu bekommen.

Das Staatsarchiv in Leipzig firmiert behördenintern als Abteilung 3 des Sächsischen Staatsarchivs, dem neben dem Hauptstaatsarchiv in Dresden noch das Staatsarchiv Chemnitz und das Bergarchiv Freiberg zugehörig sind. Das Leipziger Staatsarchiv ist für die „Überlieferung“ (wie es im Archivjargon heißt) der Gerichte, Behörden und öffentlichen Stellen im Regierungsbezirk Leipzig zuständig.

Die Findbücher zu den Beständen des Archivs sind entweder gedruckt oder in elektronischer Form (teilweise auch online) im Lesesaal einsehbar. Die Archivalien müssen dann aus dem Magazin bestellt werden; „ausgehoben“ wird nur zweimal am Tag, um 9 Uhr und um 13 Uhr. Ein Teil der Akten ist schon mikroverfilmt und kann an entsprechenden Geräten im Lesesaal eingesehen werden, was allerdings meist recht mühselig ist, da die Filmqualität nicht selten zu wünschen übrig läßt. Ist der Film sehr schlecht lesbar, hat das Archivpersonal ein Einsehen und man kann die Akte im Original vorgelegt bekommen.

In der Kürze der Zeit konnten lediglich anhand diverser Findbücher nach den Titelbeschreibungen der Akten direkt auf Zigeuner Bezugnehmendes ausfindig gemacht werden, wobei auch Aktentitel exzerpiert wurden, die „verheißungsvoll“ klangen, d.h. die einmal nach Erwähnungen von Zigeunern durchgesehen werden sollten. Einige wenige Akten konnten dann zum Teil durchgearbeitet werden.

Hier zunächst einige Akten mit direktem Bezug auf Zigeuner:

- Bestand 20024 (Kreishauptmannschaft[7] Leipzig, 1573-1944; Findbuch 2.3.3.2):

   Nr.0619: Zigeuner (Laufzeit 1850-1904)

   Nr.0620: Zigeuner (1886-1908)

- Bestand 20025 (Amtshauptmannschaft[8] Borna, 1817-1945; Findbuch 2.3.3.3):

   Nr.2596: Spezialakten über Zigeunerbanden, Bd.1 (1886-1904)

   Nr.2597: Generalakte über Zigeunerbanden (1886-1938)

- Bestand 20026 (Amtshauptmannschaft Döbeln, 1839-1945; Findbuch 2.3.3.3):

   Nr.2515: Zigeuner-Wesen (1886-1921)

- Bestand 20031 (Polizeipräsidium Leipzig, ca. 1900-52):

   Nr.PP-S 4533: (Fall einer Zigeunerheirat und Personenfeststellung der Kinder) (1934-44)

   Nr.PP-S 5108: (Fahndung nach ausgewiesenen Zigeunern) (1934-35)

   Nr.PP-V 4813: Überwachung der Zigeuner (1933-38)

- Bestand 20124 (Amtsgericht Leipzig, 1830-1968):

   Nr.01468: (Fall zweier Lovara <?> wegen Betrugs und Vergehens gegen die Kriegswirtschafts-
                    verordnung
) (1943-45, 1948)

- Bestand 20139 (Amtsgericht Zwenkau, 1813-1960):

   Nr.666: General- und Spezialverordnungen des Ministeriums der Justiz (1877-90)

                 (darin u.a.: Verordnung zum Zigeunerwesen, 1886)

- Bestand 20392 (Rittergut Gnandstein, 1428-1943):

   Nr.911: (Klage bzgl. Gerichtskosten für Untersuchungen gegen Zigeuner im Amt Borna, 1768)
                (1780-85)

- Bestand 20532 (Rittergut Rötha mit Trachenau, 1438-1945):

   Nr.1849: Gedruckte kurfürstlich-sächsische Mandate (1918, 1684-1818)

                 (darin u.a.: Zigeunerbanden, 1722)

- Bestand 20601 (Stadt Dahlen, 1429-1945; Findbuch 7):

   Nr.806: Maßnahmen gegen Bettler, Landstreicher und Zigeuner (1938)

- Bestand 20602 (Stadt Delitzsch, 1364-1945; Findbuch 7):

   Nr.1296: Verfahren gegen Zigeuner (1886-1929) (Mikrofilm)

- Bestand 20611 (Stadt Markkleeberg, 1714-1945; Findbuch 7):

   Nr.365: Zigeunerwesen (1886-94)

- Bestand 20612 (Stadt Markranstädt, 1665-1945; Findbuch 7):

   Nr.1785: Bekämpfung des Zigeunerwesens und Rückführung in die Heimat (1886-1917)

- Bestand 20615 (Stadt Mutzschen, 1677-1952; Findbuch 7):

   Nr.1574: Bekämpfung des Zigeunerwesens (1886, 1903-08)

   Nr.3137: Anordnungen gegen Zigeuner (1935-38)

- Bestand 20629 (Stadt Wurzen, 1488-1969; Findbuch 7):

   Nr.1507: Zigeunerwesen (1924, 1935-47)

 

Neben diesen Akten sollten u.a. auch die folgenden durchgesehen werden:

- Bestand 20004 (Ältere Kreishauptmannschaften des Leipziger Kreises, 1763-1825; Findbuch  
   1.5.2):

   Nr.232: Maßnahmen gegen das ungefugte Hausieren auf dem Lande (KH Leipzig, 1796-98, 1810)

   Nr.347: Aufstellung und Unterhaltung von Warntafeln gegen das Betteln und Vagabundieren (KH 
                Leipzig, 1803-04)

- Bestand 20024 (Kreishauptmannschaft Leipzig):

   Nr.0205: Berichte bzw. Beschwerden über Unterbehörden durch umherziehende Künstler und Schau-
                 steller (1870-1904)

   Nr.1837: Kammerjäger (1861-79)

   Nr.1872: Musikalische Aufwartungen (1869-79)

   Nr.2016: Ross- und Viehmärkte (1844-76)

- Bestand 20026 (Amtshauptmannschaft Döbeln):

   Nr.2602: Marionetten-Theater-Aufführungen (1909-11)

   Nr.3208: Gewerbebetrieb im Umherziehen, Bd.1 (1895-1937)

   Nr.3209: Gewerbebetrieb im Umherziehen, Bd.2 (1937-44)

- Bestand 20027 (Amtshauptmannschaft Grimma, 1822-1945; Findbuch 2.3.3.3):

   Nr.1944: Aufführungsrechte der Musiker (1917-43)

- Bestand 20029 (Amtshauptmannschaft Oschatz, 1833-1945; Findbuch 2.3.3.3):

   Nr.1443: Gewerbebetrieb im Umherziehen (1898-1936)

   Nr.1444: Mißstände im Musikerberuf (1917-34)

   Nr.1445: Ausübung der Heilkunde, des Wahrsagens und Kartenlegens (1920-36)

- Bestand 20030 (Amtshauptmannschaft Rochlitz, 1810-1945; Findbuch 2.3.3.3):

   Nr.1870, 1871, 1872, 1873: Gewerbebetrieb im Umherziehen (1908-38)

- Bestand 20597 (Stadt Belgern, 1506-1945; Findbuch 7):

   Nr.1355: Visitationen und Berichte wegen des Bettelwesens (1775-91)

- Bestand 20601 (Stadt Dahlen):

   Nr.733: Maßnahmen und Bestrafung gegen das Betteln, Bd.1 (1847-48)

   Nr.734: Maßnahmen und Bestrafung gegen das Betteln, Bd.2 (1848-49)

   Nr.752: Bestrafung des Karl Gottlob Reinhard wegen Diebstahl und unerlaubtem Handel (1850-62)

   Nr.755: Bestrafung des Johann Heinrich Reinhardt wegen Diebstahl (1867-69)

   Nr.925: Erteilung von Wandergewerbescheinen (1892-93)

- Bestand 20602 (Stadt Delitzsch):

   Nr.2034: Abschaffung des Bettelwesens (1788-1806)

   Nr.2278: Hausierhandel in Delitzsch (1819-37)

   Nr.2279: Überprüfung des Wandergewerbes (1935-46)

- Bestand 20604 (Stadt Dommitzsch, 1580-1944; Findbuch 7):

   Nr.567: Unterstützung der Familie August Fickert sowie die Verurteilung des Hermann Fickert wegen
               Bettelns (1865-1910)

   Nr.910: Jahrmärkte, Ross- Vieh- und Krammärkte (1797-1821)

- Bestand 20629 (Stadt Wurzen):

   Nr.3065: Hausierwesen und Strafverfahren wegen Hausierens (1841-64)

 

 

 

 

Karte der Leipziger Gegend (Königreich Sachsen im Jahre 1895)

aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Kreishauptmannschaft_Leipzig

 

 

Natürlich gäbe es noch weitere Akten, was das Wandergewerbe (Wandergewerbescheinvergabe, Kontrolle) angeht, Jahrmärkte (besonders Pferdemärkte), Zirkusse, Bettelwesen, Ausweisungen von Ausländern u.a.m., doch würde es zu weit führen, hier alle diesbezügliche Akten aufzuführen.

Im Folgenden sei nun etwas von dem Material vorgelegt, das in einigen Akten zu finden war.

Zunächst aus der 200 Blatt umfassenden Akte Nr.2515 (Zigeuner-Wesen) des Bestandes 20026 (Amtshauptmannschaft Döbeln):

Am 29.Juni 1886 meldete ein Obergendarm der Station Döbeln der Königlichen Amtshauptmannschaft am Ort:

Seit Ende vorigen und bis Mitte dieses Monats ist der amtshauptmannschaftliche Bezirk fast ununterbrochen von herumziehenden Zigeunerbanden heimgesucht worden. Unter anderem trieb sich die Bande Peter Deigon aus Dalhunden[9] im Elsaß, vom 29. v. Mts. an mit 14 Wagen, 36 Pferden und gegen 80 Personen in der Hainicher Gegend herum, davon lagerten ... bei Döbeln und dann in Roßerein [?] 5 Wagen, 9 Pferde und 29 Personen. Letztere waren folgendermaßen legitimirt:

1. Peter Deigon mit Frau und 4 Kindern, hatte Wandergewerbeschein zum Kesselflicken und Zinngießen

2. Columbar Hirsch [Kirsch ?] aus Dalhunden mit Frau und 4 Kindern, als Begleiter:

3. Adam Gomann[10] als Dalhunden hatte ebenfalls Wandergewerbeschein zur Ausübung desselben Gewerbes.

Beide Wandergewerbescheine sind am 3 Februar vom Landrath in Sondershausen ausgestellt. Für die übrigen 16 Personen dieser Bande hatte der angeblich 1810 geborene Dodor Nicolas, angeblich aus Dalhunden, ein am 14 August, 1885 in Harthausen[11] ausgestelltes Arbeitsbuch auf sich und seine Ehefrau lautend, während die übrigen 14 Personen seine Kinder und Enkel sein sollen und auf das Arbeitsbuch mit reisten.

Diese Bande erweckt gerechten Zweifel darüber ob es wirklich Reichsangehörige[12] sind, weil die Wandergewerbescheine nicht von der zuständigen Heimatbehörde, sondern in einen Fürstenthume ausgestellt worden sind. Der größte Zweifel entsteht aber mit dem Arbeitsbuche das eine Orts-behörde lediglich nur auf die Angabe der Zigeuner selbst ausgestellt haben dürfte, auf 14 nicht dazugehörige Menschen im Reiche herumvagiren, das Publikum durch Betteln und Stehlen belästigen und auch noch betrügen.[13]

Eine Bestätigung fanden diese Zweifel insofern, als der hier beim Kaufmann Herrn Rossberg conditionirende Commis Mikan [?], welcher etwas von der böhmischen Sprache versteht, ... in Grausnig gehört hat, wie sich die Bande in böhmischer Sprache unterhielt. Wär dieselbe aus dem Elsaß gewesen so könnte doch angenommen werden, daß sich selbige nicht der böhmischen, sondern der französischen Sprache bediene. Außerdem führen sämmtliche aus dem Elsaß sein wollende Banden eine große Anzahl Kinder jeglichen Alters mit sich, die trotzdem sie Reichsan-gehörige sein wollen, keinen Schulunterricht genießen vielmehr nur zum Betteln und Stehlen angehalten werden und gänzlich verwahrlosen.

Ohne die vorgenannte Bande haben sich in letzter Zeit meist ohne Legitimation die Zigeu-nerbanden Wochinger, Rose, Krause, Landburger, Carl und Joseph Sulatzsch, Joseph Gotje und Franz Porater [?][14] in der Hainicher-Leisniger und Harthaer-Gegend[15] herumgetrieben, welche entweder aus dem Elsaß sein wollen, oder sich als deutsche Reichsangehörige geriren.

Am 28 Mai, ... traf Abends eine aus 13 Wagen und einer großen Anzahl Menschen bestehende Bande wischen Zschoppach und Doberschwitz ein, nächtete dort auf freiem Felde ...

Am meisten treibt sich nebst Deigon die Bande Flunkusch,[16] angeblich aus dem Elsaß mit einer großen Anzahl – bis zu 18 Stück – Pferden, 4 Wagen und gegen 30 Personen im Bezirke herum, die, wo sie hin kommen ganze Wagen voll Klee abheuen und mitnehmen. ...

Weil diese Zigeunerbanden zur reinen Landplage geworden sind unterlässt der gehorsamst Unterzeichnete nicht, der Königl. Amtshauptmannschaft Rapport zu erstatten.“

Bei den zu Beginn des Berichtes namentlich aufgeführten Zigeunern der Familien Taikon und Goman – vermutlich auch bei dem Dodor/ Todor genannten Zigeuner[17] – handelte es sich offensichtlich um Kelderara, vielleicht zum Teil auch Čurara, worauf nicht nur die Familiennamen, sondern auch die Berufe hindeuten. Es deckt sich ebenfalls mit Befunden aus einer Anzahl von Archivdokumenten z.B. aus dem Rheinland, daß vielfach Roma etwa im letzten Quartal des 19.Jhs. aus dem Westen, vornehmlich dem Elsaß nach Deutschland eingereist sind und eben bis in die östlichen Teile Deutschlands gelangt sind.[18] Ein im Jahre 1899 in Neuendorf bei Potsdam beerdigter „Zigeunerhauptmann“ namens Bursovivar wird als „Mitglied der aus dem Elsass stammenden Petermannschen Bande“ bezeichnet.[19] In einem „Verzeichnis über die im Bezirke der Amtshauptmannschaft Borna in den Jahren 1886 bis mit 1893 aufgetretenen Zigeuner[20] kann man einige finden, die aus dem Elsaß gekommen sein sollen, darunter auch Petermanns.[21] Selbst wenn, wie richtig im obigen Bericht angedeutet, an den vorgewiesenen Legitimationspapieren Zweifel angemeldet werden könnten, dürfte die Wanderrichtung doch durchaus stimmen.

 

 

 

 

Grab einer Sinti- oder (wahrscheinlicher) Lovara-Familie auf einem Leipziger Friedhof.

1920 war auf dem Friedhof  der in Weimar verunglückte Pferdehändler Heinrich Franz beerdigt und nach Errichtung der Gruft 1923 an diese Stelle umgebettet worden. Wahrscheinlich war es der gleiche Heinrich Franz, der 1907 auf einem Pferdemarkt in Wuppertal-Barmen „aktenkundig“ geworden ist.[22] Dieses Beispiel zeigt den großen Wanderradius der Familie bzw. ihrer Zigeunergruppe.

(Foto: R.B., 2010)

 

 

 

Die Zahl der mitgeführten Pferde zeigt auch, daß die Kelderara und Čurara damals neben der Profession, die ihnen jeweils den Namen einbrachte, auch Pferdehandel betrieben haben.[23]

In der hier behandelten Zeit hat offenbar die Zahl der das Land bereisenden oder zumindest die Auffälligkeit (z.B. durch ihre zahlenmäßige Größe oder ihr „exotisches“ Aussehen) verschiedener Zigeunergruppen dazu geführt, daß Sachsen – auf Anregung des Reichskanzlers Bismarck – am 16.Juli 1886 durch eine Generalverordnung versuchte, gegen herumreisende Zigeuner vorzugehen.[24] Tatsächlich wird man in den Archiven besonders in diesem Zeitraum vermehrt Material über Zigeuner finden.

Etwas Rätsel gibt die Erwähnung einer „böhmischen Sprache“ auf. Man wird hier wohl nicht an Tschechisch (bzw. Slowakisch) denken können; denn warum sollten die Kelderara oder Čurara, selbst wenn sie vielleicht ursprünglich etwa aus der (ehemals ungarischen) Slowakei gekommen sein sollten, untereinander diese Sprache sprechen und nicht etwa Romanes, womit sie wohl am wenigsten von Außenstehenden verstanden worden wären. D.h. man wird das „Böhmische“ wohl als die Sprache der „Bohémiens“, also als Romanes auffassen müssen. Hierbei dürfte es dann als recht außergewöhnlich anzusehen sein, daß eine offenbar zu den Nicht-Zigeunern gehörige Person Romanes verstand. Die Überlegung des Gendarmen, daß die Roma hätten Französisch sprechen müssen, wenn sie aus dem Elsaß kamen, ist natürlich ein Trugschluß.

Die ebenfalls in dem Bericht genannten Wochinger[25] (Wuchinger), Rose, Krause und Landburger (Landsberger?) waren offensichtlich Sinti aus Böhmen (Wuchinger), Schlesien (Rose) bzw. Nordostdeutschland. Gerade Sinti aus Schlesien tauchen natürlicherweise in der Leipziger Gegend vermehrt auf,[26] wie das folgende Dokument aus der gleichen Akte, der Bericht eines Gendarmen aus Hainichen an die Döbelner Amtshauptmannschaft vom 25.Dezember 1896 zeigt:

Heute Mittag wurde vom Herrn Gemeindevorstand Engelmann in Pappendorf dem Gend. Brigadier Koch telegraphisch mitgetheilt, daß eine starke Zigeunerbande anwesend sei. Diese Bande wurde in Kaltofen betroffen, es waren die Familien

1. Anton Wagner, Künstler und Musiker aus Schönberg i./Schl[esien].[27] 1832 geboren, nebst Ehefrau Josepha, ebenfalls 1832 geboren, dieselben legitimirten sich mit einen Führungsattest vom Gemeindevorsteher Eduard Hartmann in Probstzella[28] vom 26./3.96.

2. Anton Schubert, Gymnastiker und Schirmflicker aus Reifersdorf b. Görlitz, geboren den 10.8.62, nebst Ehefrau und 5 Kindern im Alter von 5 bis 1 Jahr, dieselbe legitimirte sich mit einen vom Gemeindeamt Pöllwitz R.ä./ L.[29] ausgestellten Vorweis, daß er seinen Reisepaß verloren und einen neuen bestellt habe. Auf demselben war noch vom Gemeindevorstand L. Eberhardt, daß der angeblich nach hier adressirte Reisepaß nicht eingetroffen sei,

3. Adam Wagner, Künstler und Musiker aus Stollenhau i./ Schl.,[30] geboren den 20./3.66 mit Ehefrau und 4 Kindern im Alter von 5 bis 1 Jahr; derselbe führte als Legitimation einen vom Friedrich Sieber aus Fürstenwald[31] ausgestellte ... Bescheinigung, daß sein Gewerbe eingetragen sei, bei sich und

4. Carl Wagner, Künstler und Musiker aus Schönberg i./ Schl., ledig, geboren am 20./1.64, derselbe führte nur eine Bescheinigung bei sich, welche enthielt, daß er von 93 bis 95 bei Oskar Heilig aus Deutsch-Lissa b./ Breslau in Stellung gewesen sei und zu Lauenburger in Stellung gehen wolle. Diese Bescheinigung war vom Gemeindevorstand Ernst in Merkersdorf [?] (Amth. Rochlitz) unterm 5./7.95 beglaubigt.

Außerdem führten die Bande gemeinschaftlich 2 Wagen und 3 Pferde mit sich. Dieselbe kam ohne polizeiliche Begleitung und ist vom Brigd. Koch und Unterzeichnetem weiter escortirt und gegen Abend von letzterem dem Gemeindevorstand zu Neudörfchen (Amth. Flöha) übergeben worden. Das Verhalten der Bande war gut. ...

Bei den hier aufgeführten Personen handelte es sich unzweifelhaft um Sinti, die offenbar viel weniger „betucht“ waren als die oben im Jahre 1886 gemeldeten Roma. Bemerkenswert, aber damals durchaus die Regel, waren die dubiosen „Legitimationspapiere“, mit denen sich die angehaltenen Zigeuner gegenüber den Gendarmen auszuweisen suchten.

Namen und Ortsangaben helfen, die in den Archivdokumenten erwähnten Zigeuner zu „verorten“, sie aus einer anonymen „Masse“ herauszuheben und liefern somit auch Material zum Nachzeichnen von Wanderungsbewegungen.

In diesem Zusammenhang ist ein Dokument aus der schätzungsweise 300 Blatt starken Spezial-akte Nr.2596 (Zigeunerbanden) im Bestand 20025 (Amtshauptmannschaft Borna) von beson-derem Interesse. Es handelt sich um ein „Verzeichnis über die im Bezirke der Amtshaupt-mannschaft Borna in den Jahren 1886 bis mit 1893 aufgetretenen Zigeuner“. Dem Verfasser dieser Zeilen ist bisher ein vergleichbares Dokument, das so detailliert und umfangreich das Auftreten von Zigeunern in einem gegebenen Gebiet über mehrere Jahre festhält, in Archiven noch nicht in die Hände gekommen;[32] vielleicht wird sich aber, wenn es übergeordnete Behörden in dem Regierungsbezirk so verlangt hatten, auch in anderen Akten Vergleichbares zu finden sein. Die hier im pdf-Format wiedergegebene Liste (auch unten anklickbar) enthält 105 Positionen, Einzelpersonen oder Familien bzw. Reisegruppen von Sinti (meist schlesischen), Lalleri, Lovara, Kelderara bzw. Čurara, balkanische Bärenführer und (andere) für Zigeuner gehaltene Nicht-Zigeuner. Man kann feststellen, daß die meisten der in den oben wiedergegebenen Archivdokumenten auch in der Liste (teils mehrfach) auftauchen. Es wird der Tag und Ort angegeben, an dem die betreffenden Personen angetroffen (kontrolliert) wurden, wo sie beheimatet und mit welchen Ausweispapieren sie versehen waren und schließlich wohin sie sich begeben hatten bzw. transportiert worden sind.

Alles in allem ein aufschlußreiches Dokument.

Vielleicht findet sich ja jemand, der weitere „Schätze“ in Leipziger (und/ oder anderen ost- bzw. mitteldeutschen) Archiven zu heben auszieht.

 

Zitierte Quellen:

 

Adler, Marta:

            Mein Schicksal waren die Zigeuner

             Ein Lebensbericht

            hrsg. v. R.A. Stemmle

            Bremen 1957

Benninghaus, Rüdiger:

Die „Demeter-Bomba-Bande“ und die Anfänge der Kelderara-/ Tschurara-Einwanderung nach Deutschland

            In: Nevipe – Rundbrief des Rom e.V. <Online-Journal>, Nr.28 (Nov. 2008), S.9-15

            Köln

<im Internet: http://www.romev.de/images/stories/anlagen/062_Rundbrief%20Nr.28%20-%20Nov.%202008%20des%20Rom%20e.V.pdf> 

(aufgerufen am 23.6.2010)

Dillmann, Alfred:

Zigeuner-Buch

herausgegeben zum amtlichen Gebrauche im Auftrag des K.B. Staatsministeriums des Innern vom Sicherheitsbureau der K. Polizeidirektion München

München 1905

Djurić, Rajko/

Miletić, Antun:

Istorija Holokausta Roma

[Serbisch, Geschichte des Holocaust der Roma]

            Beograd 2008

Gilsenbach, Reimar:

Oh Django, sing deinen Zorn

 Sinti und Roma unter den Deutschen

Berlin 1993

Gilsenbach, Reimar:

            Von Tschudemann zu Seemann

             Zwei Prozesse aus der Geschichte deutscher Sinti

            Berlin 2000

Goman, Iacob:

            Récit de Vie

In: Corina Ciocârlie/ Laurent Bonzon (eds.): Attention, Tsiganes! Histoire d’un malentendu (Publications scientifiques du Musée d’Histoire de la Ville de Luxembourg, tome 11), S.66-75, 134-141

Luxembourg 2007

Haglund-Calley, Laila/

Calley, Malcolm J.C.:

            Katarina Taikon and the Swedish Gypsies

            In: Race & Class, vol.6 (1964), S.63-70

            Los Angeles

Hennig, Falko:

            Berlin 1899

 17. Juni bis 14. Juli

In: scheinschlag – berliner stadtzeitung, Ausg.6/ 1999 (nicht paginiert)

Berlin

<im Internet: http://www.scheinschlagonline.de/archiv/1999/06_1999/texte/alt1.html>

(aufgerufen am 25.6.2010)

Höhne, Werner K(urt).:

Die Vereinbarkeit der deutschen Zigeunergesetze und -verordnungen mit dem Reichsrecht, insbesondere der Reichsverfassung

Heidelberg o.J. <ca. 1929> (Dissertation Universität Heidelberg)

John, Augustus E.:

            Russian Gypsies at Marseilles and Milan

            In: Journal of the Gypsy Lore Society, N.S., vol.4, no.3 (Jan. 1911), S.217-235)

            Edinburgh

Landesarchiv NRW, Abt. Düsseldorf (Hauptstaatsarchiv):

            <abgekürzt mit: HStA Düsseldorf>

          Regierung Aachen:

           - Nr.23069 (Schaustellungen, herumziehende Musikanten, Marionettenspieler, Drehorgelspieler,                             
                               Wahrsager, Zigeuner, Passionsspiele, vol.1, 1816-1936)

            Regierung Düsseldorf:

 - Nr.8905 (Zigeunerbanden, vol.3, 1892-1909)

Miehe, Lutz:

„Unerwünschte Volksgenossen“

Das Zigeunerlager am Rande der Stadt Magdeburg während der Zeit des Nationalsozialismus

In: Eva Labouvie (Hrsg.): Leben in der Stadt – Eine Kultur- und Geschlechtergeschichte Magdeburgs, S. 319-338

Köln u.a. 2004

Miehe, Lutz:

Die Aktion „Arbeitsscheu Reich“ im Juni 1938 und die Verfolgung der „Zigeuner“ in Magdeburg

In: Detlef Schmiechen-Ackermann/ Steffi Kaltenborn, (Hrsg.): Stadtgeschichte in der NS-Zeit – Fallstudien aus Sachsen-Anhalt und vergleichende Perspektiven (Geschichte – Forschung und Wissenschaft, Bd.13), S.109-122

Münster 2005

Miehe, Lutz:

ausgegrenzt – ermordet – vergessen

Zu den Menschenrechtsverletzungen an den Magdeburger Zigeunern während der Zeit des Nationalsozialismus

In: Matthias Puhle (Hrsg.): Unerwünscht – verfolgt – ermordet. Ausgrenzung und Terror während der nationalsozialistischen in Magdeburg 1933-1945. Begleitbuch zur Ausstellung ..., Kulturhistorisches Museum Magdeburg, 28.Januar bis 3.August 2008, hrsg. von: Magdeburger Museen, S.243-261

Magdeburg 2008

Mode, Heinz/

Wölffling, Siegfried:

            Zigeuner

             Der Weg eines Volkes in Deutschland

            Leipzig 1968

Rosenberg, Otto:

Das Brennglas

 aufgezeichnet von Ulrich Enzensberger

Frankfurt/ M. 1998 

Rosenhaft, Eve:

A Photographer and his „Victims“ 1934-1964: Reconstructing a Shared Experience of the Romani Holocaust

In: Nicholas Saul/ Susan Tebbutt (eds.): The Role of the Romanies – Images and Counter-Images of ‘Gypsies’/ Romanies in European Cultures, S.178-207

Liverpool 2005

Yoors, Jan:

            O drom le lowarengo

            Recollections of Life and Travel with the Lowara

In: Journal of the Gypsy Lore Society, 3rd series, vol.39, nos.1-2 (Jan.-June 1960), S.51-64

            Edinburgh

Yoors, Jan:

            Die Zigeuner

            Stuttgart 1970

 

Seite erstellt am 16.10.2010

 

 

Tabelle (Liste):

Verzeichnis über die im Bezirke der Amtshauptmannschaft Borna in den Jahren

1886 bis mit 1893 aufgetretenen Zigeuner

 

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[1] GILSENBACH 1993 und 2000.

[2] MODE/ WÖLFFLING 1968.

[3] MIEHE 2004, 2005 und 2008.

[4] Hier ist vor allem über das Zigeunerlager in Marzahn geschrieben worden. Zu erwähnen wären noch die Autobiographien von ADLER 1957 und ROSENBERG 1998.

[5] Erwähnt werden mag hier auch noch der Fotograf Hanns Weltzel, der vor allem Kontakte zu Sinti in Mitteldeutschland sowohl vor als auch nach dem Zweiten Weltkrieg hatte (kritisch dazu: ROSENHAFT 2005).

[6] Die Internetseite des Staatsarchivs: http://www.archiv.sachsen.de/106.htm (aufgerufen am 27.5.2010).

[7] Die Kreishauptmannschaften entsprachen etwa Regierungsbezirken. Im Königreich Sachsen gab es deren fünf: neben Leipzig noch Bautzen, Chemnitz, Dresden und Zwickau.

[8] Die Amtshauptmannschaften waren im Freistaat Sachsen das, was in anderen Teilen Deutschlands Landratsämter heißt.

[9] Im Kanton Bischwiller, direkt an der deutschen Grenze gelegen.

[10] Ein Adam Goman(n) taucht in Archivalien auch anderenorts auf. Am 28.9.1872 schrieb das Preußische Innenministerium an die Regierung in Aachen: „... hat die Königliche Regierung zu Schleswig angezeigt, daß die Königliche Regierung den Bestimmungen meines Erlasses vom 22. October 1870 entgegen, mehreren Führern von Ungarischen Zigeunerbanden Legitimationsscheine zum Betriebe des Kupferschmiedehandwerks im Umherziehen ertheilt habe. ...“ Die Regierung von Schleswig hatte am 13.9.1872 nach Berlin berichtet: „Am 7. d. M. wurden hierselbst folgende Legitimations- und Gewerbescheine präsentirt: ... 3. für Thomas Taikum [offenbar: Taikon] aus Ungarn, ausgestellt am 30. April von dem Königl. Würtembergischen Oberamt Lampheim zur Betreibung des Kupferschmiedehandwerks. Diese waren am 29. Juni und 2. Juli d. J. von der Königl. Regierung in Aachen mit Gewerbescheinen versehen. 4. für Adam Gomann aus Ungarn ausgestellt am 16. Mai d. Js. von der Königl. Regierung in Trier ... zur Betreibung des Kesselflickergewerbes. Die persönlich hier Erschienenen 4 Präsentanten stellten sich als Ungarische Zigeuner dar und ließen an ihrer Tracht und den mit großen metallenen Knöpfen versehenen Stäben ihre Eigenschaft als Führer erkennen. Sie gaben zu mit einer Anzahl von Gehülfen und Fuhrwerken, welche sie in der Gegend von Altona gelassen umherzuziehen. Obgleich die Scheine für das ganze Reich Gültigkeit besaßen, wurde doch mit Rücksicht auf die polizeiliche Unzuverlässigkeit dieser Art Banden, die Anweisung ertheilt, die Provinz sofort wieder zu verlassen. Inzwischen war durch die Zeitungen das Erscheinen einer größeren Zigeunerbande an der Elbe bekannt geworden und auf desfällige Vorfrage hat die Altonaer Polizeiverwaltung einberichtet, daß diese mit ungefähr einem Dutzend Wagen unter der Führung des genannten Adam Gomann umherziehende Zigeunerbande dort angehalten und über die Hamburgische Grenze zurückgewiesen worden sei. ...“ (HStA Düsseldorf, Reg. Aachen, Nr.23069).

[11] Im Rhein-Pfalz-Kreis.

[12] Von 1871-1918 gehörte das „Reichsland Elsaß-Lothringen“ zum Deutschen Reich, also auch zur Zeit dieses Berichtes.

[13] Es kann von hier aus nicht festgestellt werden, ob der Satz im Original so „korrupt“ ist, oder beim Abschreiben ein Fehler passiert ist. Ansonsten stehen die orthographischen bzw. grammatikalischen Fehler (aus heutiger Sicht) so im Original.

[14] Die drei letztgenannten Personen waren vermutlich keine Zigeuner.

[15] Alle genannte Orte liegen im heutigen Landkreis Mittelsachsen.

[16] Ein solcher Name ist dem Verfasser von keiner Zigeunergruppe bekannt. Vermutlich handelt es sich um einen Ort Flunkus (oder ähnlich) in Ungarn, wie aus der Liste im Bestand 20025 (Amtshauptmannschaft Borna), Nr.2596 (Zigeunerbanden) hervorgeht (siehe unten).

[17] Während die Gomans in Deutschland weit verbreitet sind, findet man Taikons vornehmlich in Frankreich und Schweden (siehe z.B.: HAGLUND-CALLEY/ CALLEY 1964). Schon DILLMANN (1905) erwähnt „Deikon“ (S.55), „Dodor“ (S.60) und „Go(h)mann“ (S.82, 164 und 277), daneben auch Demeter (S.57 f.), wobei sie zumeist als aus dem französischen Pyrenäen-Gebiet stammend aufgeführt sind. Siehe auch: JOHN 1911, S.218. Zahlreiche Goman lebten zumindest bis in den Zweiten Weltkrieg auch in Kroatien (siehe Namenslisten bei DJURIĆ/ MILETIĆ 2008, S.213 (in Daruvar), S.215 f. (in Uljanik), S.246 (in Križ und Nova Marča), S.283 f. (in Čaćavica), S.298 (in Slavonski Brod), S.304 (in Petrijevci und Satnica), S.334 (in Srijemske Laže) und S.335 (in Tordinci). Auch in Rumänien trifft man auf diesen Familiennamen unter Roma (vermutlich Kelderara) (GOMAN 2007, S.66 ff.; siehe auch: http://www.memoria.ro/?location=print_article&id=1514&l=ro; aufgerufen am 19.9.2010 ).

[18] Siehe z.B. in BENNINGHAUS 2008. Der Bürgermeister von Hilden/ Krs. Mettmann berichtete am 7.12.1899 dem Landratsamt in Düsseldorf, daß seit einigen Jahren vor allem Zigeuner aus Sachsen, Brandenburg und dem Elsaß zu den Pferdemärkten des Rheinlandes (und anderswo) kämen (HStA Düsseldorf, Regierung Düsseldorf, Nr.8905). Sicherlich ist die Einverleibung Elsaß-Lothringens durch das Deutsche Reich am 28. Juni 1871 mit eine Ursache für ein verstärktes Auftreten von Zigeunern aus jener Gegend in verschiedenen Teilen Deutschlands, wenngleich Grenzen sowohl vorher als auch nachher kaum ein großes Hindernis für die Wanderungen von Zigeunern waren.

[19] HENNIG 1999.

[20] Bestand 20025 (Amtshauptmannschaft Borna), Nr.2596.

[21] Der Familienname Petermann taucht sowohl bei Sinti (meist aus dem östlichen Teil des ehemaligen Deutschen Reiches stammend) als auch bei Lovara auf. Ob die „Petermannsche Bande“ aus Lovara bestand – Sinti wird man hier wohl aus-schließen können – oder vielleicht aus (oder auch aus) Kelderara, könnte vielleicht anhand weiteren Archivmaterials geklärt werden.

[22] Polizeiverwaltung Barmen am 5.11.1907 an die Regierung in Düsseldorf („Nachweisung über die am 10. Oktober 1907 auf dem Pferdemarkt in Barmen erschienenen Zigeuner“) (HStA Düsseldorf, Regierung Düsseldorf, Nr.8905). Die hier angegebene Ehefrau, Maria, geb. Pohl (* in Halle/ Saale) trägt den gleichen Namen wie die in den Unterlagen des Friedhofsamtes in Leipzig vorkommende Witwe des H.Franz (* in Semrow/ Krs. Schivelbein in Hinter- bzw. West-pommern); zudem gab es auch in beiden Fällen Verbindungen zu Wanne-Eickel.

Jana Müller vom „Alternativen Jugendzentrum Dessau e.V.“ (AJZ) hat einen 52minütigen Film („Nicht wieder-gekommen“) zur Geschichte einer Familie Franz in der NS-Zeit produziert.

[23] Dies ist natürlich keine neue „Entdeckung“; z.B. schreibt u.a. YOORS 1960, S.57 und ders. 1970, S.144 darüber, daß Čurara neben anderen Tätigkeiten auch Pferdehandel betrieben und DILLMANN (1905, S.57 und 60?) liefert dazu auch Beispiele für Kelderara (wenngleich er sie nicht als solche bezeichnet).

[24] HÖHNE o.J. <ca. 1929>, S.154-156. Schon am 20.11.1865 schrieb das Preußische Innenministerium an die Regierung in Aachen: „Der Königlichen Regierung eröffne ich ..., daß die Regierungen der drei Provinzen Schlesien, Posen und Preußen bereits im Sommer dieses Jahres angewiesen worden sind, den Landräthen der Grenzkreise aufzugeben, solchen Zigeunerbanden, welche sich über ihren Erwerb oder Besitz hinreichender Subsistenzmittel nicht genügend ausweisen können, fortan den Eintritt in die diesseitigen Staaten nicht zu gestatten. In Erwägung, daß ... derartige Zigeunerbanden auch die westlichen Provinzen überschwemmen und zum Schauplatz ihres sicherheitsgefährdenden Herumschweifens machen, ermächtige ich die Königliche Regierung hierdurch, gleiche Anordnungen auch in Ihrem Bezirk zu treffen. ...“ (HStA Düsseldorf, Reg. Aachen, Nr.23069).

[25] Der Familienname Wuchinger taucht sowohl in Böhmen/ Tschechien als auch bei den Sinti in der Vojvodina und im benachbarten Rumänien – etwa in Timişoara – auf. Über die kaum bekannten Sinti aus Rumänien existiert zumindest eine Sprachprobe (aus Timişoara): http://romani.humanities.manchester.ac.uk/db/dialects.html (aufgerufen am 4.7.2010).

[26] Eine größere Gruppe von vor allem aus Schlesien kommenden Zigeuner werden für 1893 in Isselburg (heute Krs. Bocholt) gemeldet (das Landratsamt Wesel am 8.4.1893 an die Regierung in Düsseldorf) (HStA Düsseldorf, Reg. Düsseldorf, Nr.8905)

[27] Unklar ist, ob es sich um das heutige Sulików in der polnischen Woiwodschaft Niederschlesien handelt, um eine zu der im gleichen Bezirk gelegenen Stadt Węgliniec (deutsch: Kohlfurt) Ortschaft Piaseczna oder etwa um die in Nord-Mähren (Tschechien) gelegenen Stadt Šumperk.

[28] Landkreis Saalfeld-Rudolstadt in Thüringen.

[29] Landkreis Greiz in Thüringen.

[30] Heute offenbar Ortsteil Prameny in der Gemeinde Velké Losiny in Nord-Mähren, Bezirk Šumperk oder deutsch: Mährisch Schönberg (Tschechien).

[31] Ortsteil der Gemeinde Calden in Nordhessen oder Fürstenwalde in Sachsen (Ortsteil von Geising/ Osterzgebirge) oder Brandenburg (Landkreis Oder-Spree)?

[32] Im Bestand Landratsamt Ronneburg im Thüringischen Staatsarchiv Altenburg befinden sich allerdings drei Akten, die ähnliche Listen vermuten lassen: Nr.915 (Verzeichnis der in benachbarten Staaten angehaltenen Zigeuner, 1897-1906/1914), Nr.918 (Verzeichnis der im Bezirke des Herzoglichen Landratsamtes Ronneburg angehaltenen Zigeuner (1903-1906) und Nr.919 (Gendarmerie-Rapporte über angehaltene Zigeuner, 1903-1913). Zahlreiche, von verschiedenen Bezirksausschüssen (sie waren für die Vergabe von Wandergewerbescheinen in ihren jeweiligen Regierungsbezirken zuständig) erstellte Listen von Wandergewerbetreibenden, die als Zigeuner „erkannt“ worden waren und denen kein Gewerbeschein mehr ausgestellt werden sollte, finden sich immer wieder in Archivakten. Sie sind jedoch zusammen-getragen und alphabetisch geordnet, so daß hieraus zusammen reisende Gruppen nicht hervorgehen und auch sonstige Informationen fehlen, die die hier angesprochene Liste enthält.